Quo vadis, Jay Cutler?

Jay_Cutler_vs_Packers Nach einer enttäuschenden Saison  war bei den Chicago Bears der große Umbruch angesagt. Der Trainerstab wurde einmal weitestgehend ausgetauscht, John Fox soll das Team künftig führen und Ex-49ers-Defensive-Coordinator Vic Fangio die Defense auf Vordermann bringen.

Vor allem aber wurde heiß über Quarterback Jay Cutler diskutiert, der aufgrund seines erst Anfang 2014 unterschriebenen Siebenjahresvertrages nur mit großen finanziellen Einbußen entlassbar gewesen wäre – und den aufgrund eben jenes Vertrages wohl niemand per Trade holen will. So ließen die Bears auch, wenig überraschend, die Frist Anfang März verstreichen und zehn Millionen Dollar sind Cutler damit für 2016 bereits komplett garantiert.

Cutler wurde weithin als das Gesicht der Krise in der Windy City gehandelt und war ein von den Medien nur zu gerne herangezogenes Bauernopfer, an dem man die Schieflage leicht festmachen konnte. Dass die Bears die drittmeisten Yards (377,1) und die zweitmeisten Punkte (27,6) pro Spiel zuließen und Chicago in gewisser Weise seine defensive Tradition verraten hatte spielte eine mindestens ebenso große Rolle.

Doch während die Bears in der Free Agency hier bereits überaus aktiv waren und versuchen, die Baustelle unter Fangio zu schließen, wird Cutler wohl auf Sicht Chicagos Quarterback bleiben. Die große Frage ist: Wie schlecht war seine Vorsaison wirklich und was kann er den Bears für die Zukunft somit bieten?

Die statistische Wahrheit

Zunächst einmal gilt es mit der Mär aufzuräumen, wonach Cutler mit seinen statistisch schwachen Leistungen den Bears Probleme bereitet hat. Zum einen wäre da der Prozentsatz seiner Würfe, die abgefangen wurden:

INT Percentage

Tatsächlich war Cutler hier voll in seinem Schnitt und besser als in vier seiner insgesamt neun NFL-Jahre. Auch die Prozentzahl der angekommenen Pässe war nicht schlecht – ganz im Gegenteil: Cutler brachte prozentual mehr Pässe an den Mitspieler als jemals zuvor in der NFL:

Comp Perc

Die hohe Completion Percentage ist dabei leicht erklärt und nimmt auch den Kritikern Segeln aus dem Wind, die mehr kurze, sichere Pässe gefordert hatten, um Matt Forte stärker einzubinden. Cutler verzeichnete in der Vorsaison die wenigsten Yards pro Pass seiner Karriere:

Yards pro Pass

Darüber hinaus war tatsächlich kein Bears-Spieler stärker ins Passspiel eingebunden als Forte, wenn man auf die Receptions in der vergangenen Regular Season schaut, gefolgt von Tight End Martellus Bennett:

1. RB Matt Forte: 102 REC (808 YDS, 4 TDs)
2. TE Martellus Bennett: 90 REC (916 YDS, 6 TDs)
3. WR Alshon Jeffery: 85 REC (1.133 YDS, 10 TDs)
4. WR Brandon Marshall: 61 REC (721 YDS, 7 TDs)

Zu viel Last auf Cutler

Dass ein Running Back die meisten Receptions eines Teams hat ist extrem selten und häufig kein gutes Zeichen. Forte brach den bisherigen Rekord von Larry Centers um einen Catch. Im Running Game dagegen blieb seine Saison mit 1.038 Yards, sechs Touchdowns und 3,9 Yards pro Run überschaubar – was zu einem echten Kern des Problems führt.

Pass-Run-Verhältnis

Die Bears hatten das unausgeglichenste Run-Pass-Verhältnis seit Cutlers Verpflichtung 2009, blickt man nur auf die letzten fünf Spielzeiten war es sogar mit weitem Abstand die größte Diskrepanz. Viel zu viel Last ruhte somit Woche für Woche auf Cutlers Schultern. Die Bears schafften es nicht, ein vernünftiges Running Game zu etablieren und hatten so, wie die meisten Teams, denen es so geht, im Laufe der Saison zunehmend große Probleme – zumal die Pass Protection ebenfalls zu wünschen übrig ließ.

Chicago ließ in reinen Zahlen 41 Sacks zu und damit mehr als etwa Atlanta, Cleveland oder die Bills. Auch in der Adjusted Sack Rate, die unter anderem Down, Distance und Gegner mit einbezieht (genauere Erklärung hier) reichte es nur für Rang 18 mit 6,3 Prozent. Die schlechte Protection ist ein Grund für die zwölf Fumbles (sechs verloren), die sich Cutler in der Vorsaison leistete – und bringen uns damit zu einem maßgeblichen Teil der Kritik.

Die Turnover-Problematik

Die Turnover waren wohl der größte Punkt, der von Kritikern immer wieder angeführt wurde – wenngleich die reinen INT-Prozent-Zahlen im Vergleich zu Cutlers bisheriger Karriere nicht hätten besorgniserregend sein sollen. Grund genug, sich jeden von Cutlers 18 Picks in der vergangenen Saison genauer anzuschauen:

Week #1 gegen Buffalo:
1.: Fehlkommunikation: Cutler warf in den Rücken von TE Martellus Bennett, von dem er offensichtlich erwartet hatte, dass er sich umdreht.
2.: Fehlentscheidung: Cutler versuchte aus einem schlechten Bootleg noch etwas zu improvisieren und warf den Ball in die Arme eines Gegenspielers.

Week #4 gegen Green Bay:
1.: Fehlentscheidung: Zwar hatte Cutler Pech, dass der Ball aus den Händen von CB Tramon Williams abprallte und bei Clay Matthews landete. Doch der Slant hatte nie eine ernsthafte Chance, da Williams klar besser positioniert war als Josh Morgan und den Wurf offensichtlich erahnt hatte. Ein Wurf, den ein erfahrener QB schlicht nicht machen darf.
2.: Fehlkommunikation: Cutler wollte ungestört zu Brandon Marshall werfen und es kam ein ähnlicher Pick wie im ersten Spiel heraus: Marshall drehte sich nie um, Cutler warf in seinen Rücken – Pick.

Week #5 gegen Carolina:
1.: Fehlentscheidung: Bei Third Down in der Panthers-Hälfte wollte Cutler zu viel und versuchte den Pass zu Martellus Bennett zu erzwingen – obwohl der drei Gegenspieler um sich rum hatte. Der Ball wurde abgefälscht und schließlich intercepted.
2.: Schlechter Wurf: Cutler versuchte den Ball per Slant zu Santonio Holmes zu bekommen. Die Entscheidung war richtig, da Holmes frei war – doch der Pass war viel zu hoch, der Receiver hatte keine Chance und das Ei landete in den Armen von Thomas DeCoud, der mehrere Yards dahinter eigentlich abgesichert hatte.

Week #7 gegen Miami:
1.: Fehlkommunikation/Fehlentscheidung: Wieder stimmte die Abstimmung mit Bennett nicht und die Dolphins verzeichneten einen einfachen Pick. Auch die Entscheidung war aber keine gute, da zwei Verteidiger beim Tight End standen.

Week #8 gegen Patriots:
1.: INT beim Hail Mary kurz vor der Pause. Fällt nicht in die Wertung.

Week #10 gegen Green Bay:
1.: Schlechter Wurf: Bei einem Play-Action-Spielzug hatte Cutler Bennett eigentlich offen. Doch der Pass kam viel zu langsam und viel zu unplatziert in den Rücken des TEs, so dass Micah Hyde von hinten noch rankam und den Ball abfing.
2.: Pech, da der Ball an der Line of Scrimmage abgefälscht wurde. Fällt nicht in die Wertung.

Week #11 gegen Minnesota:
1.: Fehlentscheidung/schlechter Wurf: Cutler warf kurz vor der Pause nicht nur in doppelte Deckung zu Alshon Jeffery, der Wurf kam auch viel zu kurz.
2.: Schlechter Wurf: Cutler warf komplett in den Rücken von Bennett, wo nur der Vikings-Safety das Ei abfangen konnte. Bennett hatte nicht den Hauch einer Chance.

Week #13 gegen Detroit:
1.: Schlechter Wurf: Cutler trat überhaupt nicht richtig in den Wurf und warf so zu kurz für Brandon Marshall – der zudem gut gedeckt war. Den vom deckenden CB abgefälschten Wurf fingen die Lions ab.
2.: Hail Mary ähnlicher Wurf: Fällt nicht in die Wertung.

Week #14 gegen Dallas:
1.: Schlechter Wurf: Cutler suchte Josh Morgan über die Seam Route, warf aber viel zu kurz und Orlando Scandrick fing den Wurf spektakulär ab.

Week #15 gegen New Orleans:
1.: Fehlkommunikation: Der Wurf landete einmal mehr im Rücken von Bennett und abgefälscht schließlich bei den Saints.
2.: Schlechter Wurf: Cutler hatte eine Chance auf Wilson hinter der Secondary, warf aber viel zu kurz.
3.: Fehlentscheidung: Cutler wollte zu viel, hielt den Blick nur auf Jeffrey und beachtete den Free Safety überhaupt nicht, der auf dem Weg zu Jeffreys Seite war und den etwas zu weit geratenen Pass locker abfing.

Fazit, oder: Quo vadis, Jay Cutler?

Auffallend ist zunächst, dass 3.5 von Cutlers 15 Interceptions die für die Auswertung übrig blieben auf Fehlkommunikationen zurückzuführen sind – und das mit einem erfahrenen TE wie Bennett, den Cutler seit 2 Jahren kennt. Wer genau hier schuld war, kann man natürlich nicht immer genau sagen, da Receiver oder Quarterback den Spielzug falsch ausgeführt haben können.

Doch vor allem die anderen beiden Kategorien sollten die Bears alarmieren. Auch wenn die Picks zahlenmäßig im Verhältnis zur Wurf-Gesamtzahl noch halbwegs im Rahmen waren, ließ Cutler besorgniserregend häufig schlechte Würfe erkennen, gerade in der zweiten Saisonhälfte.

Darüber hinaus versuchte er noch immer, Würfe in Double- oder Triple-Coverage zu erzwingen und hatte auch technische Probleme: Cutler hatte bei vielen Würfen einen schlechten Stand und schien sich hierbei zurück zu entwickeln. Das kann einerseits mit Hektik in der Pocket zu tun haben, andererseits ließ sich der 31-Jährige auch zu häufig zu überhasteten Würfen hinreißen.

Fox erklärte zum Wochenende bei CSN Chicago, dass das nicht viel bedeutet und es intern einen „offenen Wettkampf“ geben wird: „Meine Erfahrung sagt, dass es nicht darauf ankommt, wo du startest – es geht darum, wo du am Ende stehst.“ Cutlers Selbstvertrauen dürfte er damit keinen großen Gefallen getan haben.

Die Bears stellen derzeit auf eine 3-4-Defense um und Fangio durfte sich bereits über die Neuzugänge von Pernell McPhee, Antrell Rolle und Ray McDonald freuen. Die Defense sollte im kommenden Jahr deutlich besser sein als zuletzt.

Gelingt es Chicago zudem offensiv, ausbalancierter und effizienter zu agieren, wird auch Cutler wieder spielen – denn auch im Vorjahr war nicht alles so schlecht, wie es hinterher gemacht wurde. Ob der Routinier mit dem Hang zur lustlosen Körpersprache aber seine erneute Chance nutzt bleibt abzuwarten, zumal er ohne seinen langjährigen Freund Brandon Marshall auskommen muss. Dennoch liegt hier der Schlüssel zu Chicagos Saison und gleichermaßen die größte Aufgabe für Fox.

Adrian Franke

6 Gedanken zu “Quo vadis, Jay Cutler?

  1. Wieder einmal weltklasse Arbeit, Adrian! Super alles an Statistiken und Grafiken dargelegt und sogar jede einzelne Interception analysiert, wirklich super! Vielleicht noch eine kleine Verbesserung: Bei der Analyse der einzelnen Interceptions hättest du ja noch den aktuellen Spielstand dazu schreiben können. So kann man sehen, ob die schlechten Würfe und Fehlkommunikation eventuell durch klare Rückstande zustande kamen, weil Cutler einfach Risiko gehen musste und so mehr unter Druck stand.
    Sonst bin ich da bei dir. Ich habe zwar nur 3-4 Spiele der Bears gesehen, aber vor allem das Spiel gegen Green Bay war schon ein Artmutszeugnis für die Defense der Bears. Da wird sich dieses Jahr unter Fangio einiges ändern und davon wird Cutler auf jeden Fall profitieren, weil er weniger unter Druck steht, wenn die Defense ihre Arbeit macht. Auf der anderen Seite muss Fox es schaffen, die Passing/Rushing-Ratio wieder mehr auszugleichen. Davon profitiert Cutler wiederum mehr, die Frage ist nur, ob das überhaupt möglich ist, wenn man mit Marshall auch noch den besten WR abgibt. Bei den Broncos war das Spiel bekanntlich auch mehr auf Passing ausgelegt, also mal sehen, wie gut Fox das hinbekommt. Seine Aussage zum „offenen Wettkampf“ war da natürlich sicherlich nicht gerade sehr förderlich.

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    • Danke! Das mit der Situation bei den Picks ist ne gute Idee, behalte ich im Hinterkopf!

      Ich finde es extrem auffällig, dass Fox, anstatt Cutler jetzt klar zu stärken, auch wieder so herumdruckst – wirkt irgendwie schon wieder alles nicht so rund und war für mich alles andere als ein guter Start. Die Bears haben eigentlich ein paar gute Bausteine, auch offensiv (Forte, Jeffrey, Bennett) und werden sicher im Draft noch einen WR holen, vielleicht sogar in der 1. Runde.

      Wie du auch schreibst, ich denke, die Defense wird deutlich besser sein als die im vergangenen Jahr. Auch wenn eine Umstellung vom 4-3 aufs 3-4 ja durchaus 1,2 Jahre dauern kann…

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  2. Dabei sollte Fox doch eigentlich erfahren genug sein, so etwas nicht vor den Medien zu sagen. Jimmy Clausen wird er ja wohl nicht ernsthaft in Betracht ziehen, dessen Carrer-Stats sehen nämlich grauenhaft aus und besser als Cutler war er letzte Saison auch nicht, als er ihn ersetzte.

    http://bleacherreport.com/articles/2419531-jay-cutler-autographed-football-doesnt-get-single-bid-at-charity-auction

    Auch bitter für Cutler, er kann ihm schon ein wenig Leid tun. Ich bin auf jeden Fall auf die Bears gespannt und was Fox und Fangio aus dem Team rausholen können. Dauert eine Umstellung fast immer so lange oder kann man im Trainingscamp schon viel anpassen? Ich kenn mich da nicht so gut aus, weil ich ja noch nicht so mega lange gucke.Man kann ihm auf jeden Fall nur das Beste wünschen.

    Ich fänd übrigens einen Artikel zu den Seahawks ganz interessant und was der Abgang von Maxwell für die LOB bedeuten könnte, er war ja eher das unwichtigste Puzzlestück und mit Lane steht ja schon eine Alternative bereit, auch wenn er oft als Slot-Corner eingesetzt wurde. Oder den Einfluss eines guten Centers auf die Offense-Line und das Running-Game eines Teams, zum Beispiel in Hinblick auf den Abgang Ungers bei den Hawks oder die letzte Saison der Cowboys, daran hatte die OL ja großen Anteil. Aber an Themen sollte es dir ja nicht mangeln 😉

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    • Das mit der Umstellung hat vor allem viel mit dem Personal zu tun. Für eine 4-3-Front brauchst du ja z.T. ganz andere Spielertypen als fürs 3-4, grade was die D-Line, aber eben auch was die Linebacker angeht. Deshalb hat McPhee auch so nen dicken Vertrag bekommen, so einen haben sie halt unbedingt gebraucht.

      Center und O-Line, generell Running Game (sieht man ja an den ersten beiden Blogs^^) find ich auch interessant, mach ich bestimmt mal noch was. Aktuell arbeite ich aber schon an nem anderen Text 😉

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